Gerhard Lutz
In Erinnerung an Gerhard Lutz

Gerhard Lutz verstarb am 28. April 2017 im Alter von 77 Jahren in Wien. Mit ihm haben wir unseren äußerst geschätzten Kollegen, Freund, Mentor und einen der Firmengründer verloren. Seit sechs Jahrzehnten hat er mit scharfem Verstand, Leidenschaft und tiefem physikalischen Verständnis an vorderster Front die Forschung vorangetrieben und durch seinen Ideenreichtum geprägt. In den letzten Jahren hat er zudem den Firmen PNSensor und PNDetector zu ihrer führenden Rolle bei der Entwicklung innovativer Halbleiterdetektoren verholfen.

Gerhard Lutz wurde am 29. Oktober 1939 in Klagenfurt geboren, er begann seinen wissenschaftlichen Werdegang mit dem Studium der Physik an der TU Wien. Seine Doktorarbeit Kohärente Bremsstrahlung und Paarbildung an Diamant-Einkristallen fertigte er unter Willibald Jentschke in Hamburg an. Von 1967 – 1970 war er Assistant Professor an der Northeastern University in Boston und hat maßgeblich zu einem Spektrometerexperiment am Brookhaven National Laboratory beigetragen, das „spektakuläre“ Ergebnisse des CERN Missing Mass Spectrometers widerlegen konnte.

Nach einem Aufenthalt am CERN als Visiting Scientist nahm er 1972 eine Stelle am MPI für Physik in München an, die er bis 2004 innehatte. Als Mitglied der CERN Munich Group führte er am CERN eine Präzisionsmessung der Reaktion π- p → π π+ n an polarisierten Protonen durch, die eine modellunabhängige Amplitudenanalyse erlaubte und einen Meilenstein im Verständnis exklusiver hadronischer Reaktionen darstellt.

Zur Untersuchung der hadronischen Charmerzeugung entwickelte er, gemeinsam mit Josef Kemmer und Robert Klanner, Siliziumstreifenzähler und baute ein Vertexteleskop für das CERN NA11/NA32 Experiment. Die erreichte Ortsgenauigkeit von 5 µm, der verlässliche Betrieb in einem Teilchenstrahl sowie die Identifikation und Vermessung von Charmteilchen mit Lebensdauern von einigen 10-13 Sekunden bei einem riesigen Untergrund, waren der Beginn der Erfolgsgeschichte moderner Siliziumdetektoren. Heute verwenden praktisch alle Experimente der Teilchenphysik diese Technologie.

Seither hat sich Gerhard Lutz vor allem der Weiterentwicklung von Siliziumdetektoren und deren Auslese gewidmet, zahlreiche neue Detektorkonzepte erfunden und viele Nachwuchswissenschaftler ausgebildet. Hier nur einige Beispiele: beidseitig auslesbare Siliziumstreifendetektoren, Siliziumdriftkammern mit ein- und zwei-dimensionaler Auslese, großflächige Siliziumdriftdioden mit integriertem JFET, vollständig verarmte pnCCDs nach dem Prinzip der sideward depletion, Detektoren mit intrinsischer Verstärkung und die DEPFET Detektor-Verstärkerstruktur. Mit dem DEPFET konnte ein Ausleserauschen von 0,18 Elektronen (rms) erreicht werden, Weltrekord für einen linearen Verstärker betrieben nahe Raumtemperatur.

Seine Entdeckungen werden heute in zahlreichen Experimenten auch außerhalb der Teilchenphysik eingesetzt. So arbeiten pnCCDs erfolgreich auf dem XMM-Newton Satelliten der ESA. Röntgenspektrometer sind mit den „Mars Exploration Rovers“ Opportunity und Spirit der NASA unterwegs. Die pnCCDs werden an der Linear Coherent Light Source in Stanford sowie am XFEL und FLASH in Hamburg eingesetzt. In einem Jahr starten DEPFETs mit der BepiColombo Mission der ESA erstmals ins Weltall, um den Planeten Merkur zu erkunden. In industriellen Anwendungen kommen inzwischen weltweit zehntausende Siliziumdriftkammern in Systemen für Röntgenfluoreszenz und Mikroanalyse zum Einsatz.

Gemeinsam mit Lothar Strüder hat Gerhard Lutz 1992 das Halbleiterlabor der Max-Plank-Institute aufgebaut und war bis 2004 einer der beiden Leiter. 2002 war er Mitbegründer der Firma PNSensor und 2007 von PNDetector. Bis zu seinem Tode trug er durch seine unerschöpfliche Kreativität und Führung ganz maßgeblich zum Erfolg dieser Firmen und ihrer führenden Rolle bei der Entwicklung innovativer Halbleiterdetektoren bei.

Die Arbeiten von Gerhard Lutz wurden 1965 mit dem Röntgen-Preis der Justus-Liebig-Universität Giessen, 2011 mit dem Radiation Instrumentation Outstanding Achievement Award der IEEE Nuclear and Plasma Sciences Society und 2017 mit dem High Energy and Particle Physics Prize der European Physical Society ausgezeichnet. Wer das Glück hatte, mit Gerhard Lutz zusammenzuarbeiten, hat seine ruhige Art, seine Kompetenz, sein kritisches Urteil und seine scharfen analytischen Fähigkeiten geschätzt. Seine originellen und oftmals unkonventionellen Ideen haben viele, insbesondere auch Nachwuchswissenschaftler, inspiriert. Sein inzwischen klassisches Buch Semiconductor Radiation Detectors demonstriert in eindrucksvoller Weise sein tiefes Verständnis, sein breites Wissen und seine hohen wissenschaftlichen Ansprüche.

Wir sind dankbar für die vielen Jahre erfolgreicher Zusammenarbeit mit Gerhard und für seine Freundschaft.

SZ Gedenken